Für uns Introvertierte ist Stille viel wichtiger im Leben als für extravertierte Menschen. Während Extros die Stille in der Regel gar nicht oder nur für einen kurzen Moment mögen, können wir sie längere Zeit genießen. Und brauchen sie sogar regelmäßig, um unsere vom Alltag häufig überreizten Nerven zur Ruhe kommen zu lassen.
Das hat mich dazu inspiriert, mehr über die Stille nachzudenken. Was ist sie eigentlich? Wo finde ich sie? Und was macht sie mit mir? Ich habe meine Ideen und Gedanken dazu gesammelt und teile sie hier gerne mit dir.
Die äußere Stille
Was ist Stille? Der erste Gedanke ist, dass sie ist die Abwesenheit von Geräuschen beschreibt. Wenn die Ohren nichts hören können. Sie ist nicht greifbar, denn sie ist nur das Fehlen von etwas anderem.
Geräusche sind greifbar. Sie können als Schallwellen gemessen werden. Wir können sie über unsere Ohren einfangen und manchmal sogar körperlich spüren. Denk nur mal an einen lauten Bass, der deinen Körper vibrieren lässt.
Die Stille ist nicht messbar. Sie ist da, wenn nichts anderes da ist. Trotzdem können wir sie fühlen, wahrnehmen. Das macht sie zu etwas Besonderem.
Eine echte Stille um uns herum gibt es äußerst selten. Wenn du dich einmal in deine (vermeintlich) stille Wohnung setzt, die Augen schließt und dich nur auf die Stille um dich herum konzentrierst, wirst du merken, dass es in Wirklichkeit gar nicht so still ist. Dein Gehirn ist es nicht gewohnt, keine Reize von außen wahrzunehmen, und ist ständig auf der Suche nach ihnen. Wenn es den gewohnten Geräuschpegel nicht mehr wahrnimmt, stellt es seine Regler feiner ein. Plötzlich hörst du die leiseren Geräusche um dich herum, die du sonst nicht bewusst wahrnimmst.
Der Kühlschrank brummt, draußen fahren vielleicht Autos vorbei oder der Wind lässt die Blätter an den Bäumen vor deinem Haus rauschen. Dein Handy in deiner Handtasche piept mal wieder. Du hörst sogar deinen eigenen Atem aus der Nase ein- und ausströmen.
Es ist in Wirklichkeit also gar nicht still um dich herum. Aber wo kann man Stille finden? Mitten in der Wüste oder in der Antarktis wahrscheinlich. Wo es kaum etwas gibt, das Geräusche erzeugen kann. Manchmal bläst der Wind durch den Sand oder das Eis knackt, aber dazwischen existiert echte Stille.
Die Stille ist ein Luxusgut, das in unserem Alltag äußerst rar geworden ist. Vielleicht hast du die Chance, die Stille um dich herum einmal selbst (im Urlaub?) an einem wirklich stillen Ort zu erfahren. Aber selbst das ist für die wenigsten von uns realisierbar, es sei denn, du bist ein Abenteurer und gehst alleine auf Expeditionen in die Extremregionen unserer Erde.
Die stillen Momente im Alltag sind kostbar. Dann wird das Bewusstsein auf die kleinen Details gelenkt, und schließlich auf uns selbst. Je stiller es wird, desto mehr hörst du. Gedanken können weitergedacht werden.
Es gibt noch eine andere Stille, und die ist viel wichtiger als die Stille um uns herum.
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Die innere Stille
Du hast deine eigene Stille in dir. Jeder von uns hat Stille in sich. Sie hat sich aber sehr gut versteckt, unter all den Ablenkungen, die wir suchen, unter unseren Gedanken, die nicht aufgeben, uns zu beschäftigen, und unter unseren Gefühlen, die uns etwas zeigen wollen. Aber sie ist immer da.
Du musst dich wahrscheinlich erst auf die Suche nach deiner inneren Stille begeben. Die gute Nachricht ist: Wenn du sie einmal gefunden hast, dann kannst du sie an den lautesten Orten erleben. Du kannst laute Musik anmachen, um andere Geräusche auszublenden, und dabei deine innere Stille erleben. Du kannst aber auch an leise Orte gehen, um deine innere Stille zu finden. Und du kannst sie finden, während du dich mit etwas beschäftigst.
Hast du schon einmal das Gefühl erlebt, wenn du beim Lesen eines spannenden Buches die Welt um dich herum ausblendest und nichts mehr von dem mitbekommst, was um dich herum geschieht? Oder beim Musik hören, malen, Holz hacken, Yoga üben, joggen oder einer anderen Tätigkeit, die du ganz für dich alleine ausführst?
Dann erlebst du deine innere Stille oder bist ihr ganz nah.
Innere Stille bedeutet, die Welt auszuschließen und sich seine eigene Stille zu schaffen.
Das kannst du sogar beim Arbeiten erleben. Jede Tätigkeit, in die du vollständig versinkst, die andere Gedanken verstummen lässt, die dein Bewusstsein nur auf dich und deine Tätigkeit fokussiert und alles andere in dir und um dir herum ausblendet, schafft den Raum, in dem deine innere Stille sich ausbreiten kann.
Dann ist die Stille dein Freund. Sie beruhigt dich, bereichert dich, sie ist exklusiv. Sie ist ein Luxus, der dir neue Wege des Denkens ermöglicht, eine Form des Erlebens, die tiefer geht als eine Runde Achterbahn fahren oder den neuesten Blockbuster im Kino zu sehen.
Wenn Stille schwer ist
Stille kann auch langweilig sein. Sie fühlt sich dann schwer an, unangenehm, sogar beängstigend. Warum eigentlich? Warum scheuen wir so oft die Stille und suchen nach Abwechslung, nach Erlebnissen?
Wir – bzw. unser Gehirn – sind es nicht mehr gewohnt, nichts zu tun bzw. nicht stimuliert zu werden. Vielleicht hast du schon einmal Meditation ausprobiert und es selbst erlebt: Wenn wir meditieren, tun wir uns am Anfang wahnsinnig schwer, einige Minuten still dazusitzen und unsere Gedanken loszulassen. Stille auszuhalten. Es braucht meistens einiger Übung, bis wir unsere Meditationszeit nach und nach verlängern können. Der Kopf muss sich erst umgewöhnen.
Wenn wir unserem Drang nach Erlebnissen nachgeben, stellt sich eine Gewohnheit ein, und wir suchen immer intensivere Erlebnisse, um uns nicht zu langweilen.
Es ist ganz schön schwer, dem inneren Drang zu widerstehen und einfach nur still zu sein. Für extravertierte Menschen noch viel mehr als für introvertierte, die die Stille lieben. Aber auch wir müssen lernen, einfach nur still sein zu können. Die Stille mit uns selbst auszufüllen.
Oft fühlt es sich wie ein Kampf an, ein Widerstand gegen uns selbst und unseren Impuls, ständig irgendetwas zu tun oder unsere Aufmerksamkeit an etwas zu binden.
Ich glaube, das hat auch mit der Zeit zu tun, in der wir leben. Wie die meisten Lebewesen hat uns die Natur mit der Fähigkeit ausgestattet, dass wir uns an unser Lebensumfeld anpassen können. Wenn aber dieses Umfeld aus Lärm und unendlich vielen Möglichkeiten besteht, sich abzulenken oder ablenken zu lassen, dann wird Ablenkung zur Gewohnheit. Wir verlernen, mit unserer inneren Stille zu leben und empfinden sie als Eindringling in unsere Welt der Ablenkungen, sogar als Bedrohung. Stille wird zur unerträglichen Langeweile.
Wir sollten uns bewusst machen, was wir opfern, wenn wir unsere innere Stille vergessen. Äußere Ablenkungen ziehen uns von uns selbst weg. Wir vertreiben unsere Lebenszeit mit Geräuschen und Bildern (zum „Zeitvertreib“). Warum hindern wir uns daran, hin und wieder innezuhalten und darüber nachzudenken, was wir eigentlich tun? Und vor allem, was wir auch anders machen könnten?
Das stille Universum in dir
Wenn du deine innere Stille findest, findest du etwas, das exklusiver und luxuriöser ist als jeder Edelstein der Welt. Luxus heißt, mehr von etwas zu haben als andere, Dinge, die man eigentlich nicht bräuchte.
Stille zu finden heißt, weniger zu haben, und dennoch reicher zu werden.
Deine Stille ist kostenlos. Du findest sie dort, wo du gerade bist und wann du es willst, ohne großen Aufwand betreiben zu müssen. Sie ist immer bei dir, mit dir, und wartet nur darauf, von dir gerufen, zugelassen zu werden.
Sperre die Welt aus und begrüße die Stille.
Du kannst nicht darauf warten, dass es still wird. Du musst dir deine eigene Stille schaffen.
Über eintausend Jahre lang waren Menschen, die in der Stille lebten – Mönche, Eremiten, Hirten, Seefahrer – davon überzeugt, dass die Antwort auf die Mysterien des Lebens in der Stille zu finden sind. Stille war für diese Menschen ein Schlüssel.
Es müssen ja nicht gleich die Weisheiten des Lebens sein, auch die kleinen Wahrheiten des Alltags kannst du in der Stille finden, und du hast es oft schon selbst erlebt, wenn du zu deinen Mitmenschen gesagt hast: „Seid doch mal still! Ich muss nachdenken.“
Erling Kagge hat dafür ein schönes Beispiel gefunden: Wenn du dich verfahren hast und das Navi streikt, dann musst du in Ruhe nachdenken – um dich auf das einzig Wichtige in diesem Moment zu konzentrieren: den richtigen Weg zu finden.
Manche Wahrheiten findet man nur in der Stille. Es gibt Dinge, die können mit Worten nicht ausgedrückt werden. Sie können nur still erfahren, gedacht und gefühlt werden. Worten sind Grenzen gesetzt. Es ist schön, wenn du Erlebnisse mit jemandem teilen kannst, aber manchmal muss man sie nur gemeinsam still erfahren und fühlen. Wenn man zu viel über sie spricht, entfernt man sich wieder von ihnen. Was sich nicht in Worte fassen lässt, sollte durch Weiterplappern nicht zerstört werden.
Wenn du in den Sternenhimmel schaust, kannst du auch Stille entdecken: in diesem Fall eine visuelle Stille. Deine Augen können in der Unendlichkeit des Universums verweilen, ohne Ablenkung. Das eine Universum erstreckt sich nach außen, dein anderes Universum nach innen. Beide sind mystisch, beide sind unendlich, beide sind still.
Orte und Momente der Stille
Hier kannst du stille Orte finden:
- Auf einer einsamen Wanderung in den Bergen, in einer Wüste, an menschenleeren Orten
- Im Museum
- In der Stille der Nacht
- Unter Wasser
- In einem Kloster, einer Kirche und anderen religiösen Stätten
In besonderen Momenten, wenn ich tief in mich und meine Tätigkeit eintauche, kann ein kurzer Augenblick zur Ewigkeit werden und eine Ewigkeit wie ein kurzer Augenblick sein. Ich bin ganz da und doch ganz weit weg. Moment und Ewigkeit werden eins. Die Welt wird ausgesperrt und die innere Stille übernimmt. Die Zeit steht still.
In diesen Momenten kannst du Stille erfahren:
- Wenn du meditierst.
- Wenn du große Kunst betrachtest.
- Wenn du dich in ein Buch vertiefst.
- Wenn du konzentriert über eine Idee nachdenkst.
- Wenn du ganz in einer Tätigkeit versinkst.
- Wenn du über etwas Schönes, Außergewöhnliches, Besonderes staunst.
- Wenn du die Natur genießt.
Diese Orte und Momente dürfen dir als Anregung dienen, die Stille in deinem Leben zu suchen. Vielleicht hat dich mein Artikel dazu angeregt, mehr über deine eigene innere Stille nachzudenken und sie tief aus deinem Inneren hervorzulocken. Ich habe die Stille sehr zu schätzen gelernt, seit mir bewusst wurde, wie wichtig sie für mich ist, gerade als introvertierter Mensch.
Alles Liebe
Lena
(Inspiriert von Erling Kagge: Stille. Ein Wegweiser, Berlin 2018)
Über deine innere Stille habe ich in dem Yoga & Lifestyle Magazin Ganzwunderbar einen Gastartikel geschrieben – hier kannst du ihn lesen.
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Sarah
Toll vielen Dank für diesen Text. Ich genieße auch gern die Stille und ich habe das Glück, dies in meiner Wohnung ganz gut zu erleben. Zwar in der Großstadt Berlin, aber im Hinterhaus und mit angenehmen Nachbarn. Gerade im Moment höre nur eins, und zwar das Ticken meines Weckers. 🙂
Für viele ist ja Musik ein wichtiger Bestandteil der Ablenkung – ich höre manchmal den ganzen Tag keine Musik und bin total glücklich damit. Es fehlt mir dabei nichts! Früher dachte ich, es stimmt etwas mit mir nicht. Aber inzwischen bin ich froh darüber, um das Thema Introversion zu wissen und diese Stille wertzuschätzen und als etwas Schönes zu erleben, was nicht unbedingt gefüllt werden muss.
Lena
Liebe Sarah,
stille Momente (oder auch mal einen ganzen Tag) genieße ich sehr und kann dann in Ruhe meinen eigenen Gedanken lauschen – ich brauche viel weniger „Input“ von außen als viele andere.
Ich wünsche dir viele stille Momente für dich!
Alles Liebe
Lena