Über dieses Zitat von Laotse, einem chinesischen Philosophen des Altertums, musste ich lange nachdenken. Ist es wirklich gut, wenn man nicht mehr weiß, wo man herkommt? Wenn man eine Reise macht, um die Welt kennen zu lernen, ist es doch wichtig, sich an seine Heimat, seine Wurzeln zu erinnern. Um Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen der eigenen und der neuen Kultur, die man kennenlernt, finden zu können. Um zu wissen, wer man ist, tief im Inneren.
Doch wir reisen in unseren Leben auch im übertragenen Sinne. Jedes Leben ist so gesehen eine Reise, die wir unternehmen, ein Weg, den wir beschreiten. Wenn wir diesen Weg schon ein ganzes Stück gegangen sind, wissen wir dann wirklich noch, wo unser Anfang war? Oder ist dann nur noch wichtig, wo wir sind, und nicht mehr, wo wir losgegangen sind?
Das Leben ist ein Ponyhof
Eine der wichtigsten Reisen meines Lebens sind die, die ich gemeinsam mit Pferden mache. Ja, ich bin wortwörtlich mit Pferden gereist, bin auf Andalusiern durch Spanien geritten, habe auf Berbern das tunesische Hinterland durchquert und bin auf Islandpferden durch die isländische Wildnis getöltet. Aber meine wichtigste, spannendste Pferdereise war die, die ich mit meinem eigenen Pferd gemacht habe. Und mit dem bin ich immer schön zu Hause geblieben.
Ich habe mir vor einigen Jahren einen jungen, ungerittenen Paso Peruano (das ist eine südamerikanische Gangpferderasse, hier in Europa ziemlich selten und unbekannt) gekauft. Ich liebe diese Pferde für ihre Menschenbezogenheit, ihr sensibles Wesen und ihre bequemen Gänge.
Zwar konnte ich zum Zeitpunkt des Kaufes viele Jahre Pferdeerfahrung vorweisen, schließlich habe ich meine Kindheit in Reitställen und auf Ponyhöfen verbracht, viele Pflegepferde gehabt und jahrzehntelang Reitunterricht genossen. Aber Erfahrung in der Ausbildung eines jungen Pferdes? Und dann noch so eine exotische Rasse, von der nur eine Handvoll Menschen in Deutschland Ahnung haben? Ich habe wieder bei null angefangen. Ich habe mein Pferd damals angeschaut und ihm gesagt, dass wir beide in den nächsten Jahren viel Neues lernen werden. Fand er okay.
Fünf Jahre später habe ich ihn angesehen, und was ich sah, war überwältigend: Ein stolzes Pferd, das sich mit feinsten Signalen reiten lässt, das mir frei überall hin folgt, der mich durch die schönsten Landschaften trägt und sich viel Mühe gibt, wenn ich ihm eine neue Aufgabe stelle. Das zwar manchmal noch ängstlich ist, aber mir vertraut, wenn ich ihm sage, dass er etwas mutiger sein soll. Das zum Tor läuft, wenn ich auf den Hof komme, um mich zu begrüßen.
Dass wir das alles zusammen erreichen würden, war am Anfang unserer Reise lange nicht klar. Viel Unsicherheit auf beiden Seiten war da und wenig Erfahrung. Wir haben manches zusammen ausprobiert und wieder sein gelassen, weil es nicht zu uns passte. Wir haben Rückschläge in der Ausbildung erlebt, durch Krankheiten und unschöne Erlebnisse, und haben uns aus den Tiefs wieder nach oben gearbeitet.
Der schönste Moment auf unserer Reise war nicht, als ich das erste Mal auf ihm gesessen habe und die ersten Schritte geritten bin. Auch nicht der erste Ausritt oder der erste Galopp.
Der schönste Moment war für mich, als er mir das erste Mal völlig frei, ohne Halfter und Strick, über den Reitplatz gefolgt ist, jede Kurve mit mir zusammen gegangen ist, mit mir zusammen angehalten und wieder losgegangen ist. Ohne nach den anderen Pferden zu schauen, ohne spielen zu gehen oder sich ans Tor zu stellen, um mir zu sagen, dass er keine Lust mehr hat. Er hat sich mir völlig angeschlossen, mir vertraut, sich sicher in meiner Nähe gefühlt.
Diese Verbundenheit löst bis heute jedes Mal ein Kribbeln in mir aus, wenn ich sie spüren darf.
Mit meinem Pferd habe ich eine Reise gemacht, die aufregend und wunderschön war und mich sehr stolz auf uns macht. Mit ihm hatte ich ein klares Ziel vor Augen (nämlich: ein Jungpferd zu einem sicheren Reitpferd ausbilden), und ich kann mich auch noch sehr gut an unsere Anfänge erinnern.
Laotse muss eine andere Art von Reisen gemeint haben, als der seine klugen Worte formulierte.
Die Reise der Persönlichkeit
Die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit ist eine Reise, die bei unserer Geburt beginnt und mit unserem Tod endet. Es gibt keinen Zielpunkt, an dem wir uns sagen können, dass wir uns fertig entwickelt hätten. Jede Erfahrung, die wir machen, alles Wissen, das wir uns aneignen, jeder Mensch, der lange oder kurze Zeit ein Teil unseres Lebens ist, alles was wir hören, sehen, fühlen, spüren, trägt dazu bei, dass sich unser Charakter immer weiter und weiter entwickelt.
Auf dieser Reise ist das Ziel unbekannt. Wir können nicht wissen, was wir in unserem Leben alles erleben und erfahren werden, und wie all dies Einfluss auf unsere persönliche Entwicklung haben wird. Wir wissen nicht, wohin die Reise geht.
Nicht nur das Ziel, das wir am Ende unseres Lebens erreichen werden, und der Weg dorthin ist uns unbekannt. Auch nehmen wir die einzelnen Schritte, die wir auf unserem Lebens-Weg machen, oft gar nicht wahr. Sie sind einzeln zu klein und subtil, um als Schritt erkannt zu werden. Erst wenn wir ein ganzes Stück geschafft haben, können wir auf die letzten Meter zurückblicken und staunen, wie weit wir vorangekommen sind.
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Große Schritte der Entwicklung: Alte und neue Wege
Wenn sich unsere Persönlichkeit auf der Reise des Lebens weiterentwickelt, kommen wir manchmal an Abzweigungen. Hier entscheidet sich, ob wir alten Mustern und Glaubenssätzen weiter folgen wollen (den alten Weg weiter gehen), oder ob wir neue Überzeugungen, Gewohnheiten oder Verhaltensmuster annehmen (wir nehmen die Abzweigung und folgen einem neuen Weg).
Solange der alte Weg noch in „Sichtweite“ ist, können wir jederzeit umkehren und wieder unseren alten Überzeugungen, Gewohnheiten oder Verhaltensmustern folgen. Vielleicht wollen wir das gar nicht, aber der alte Weg war doch so bekannt, bequem und sicher, darum laufen wir oft schnell wieder zu ihm zurück. Manchmal müssen wir uns selbst gegenüber ganz konsequent bleiben, um auf dem neuen Weg weitergehen zu können.
Es klingt banal, aber wir sollten es uns trotzdem immer wieder bewusst machen: Je weiter wir den neuen Weg gehen, desto mehr entfernen wir uns von unserem alten Weg. Er verblasst nach und nach immer mehr, bis er irgendwann gar nicht mehr zu sehen ist. Die neuen Überzeugungen, Gewohnheiten und Verhaltensmuster verfestigen sich, und der neue Weg fühlt sich nach einer Weile nicht mehr neu an, sondern normal.
Das ist der Moment, wo man nicht mehr weiß, woher man kam, aber sicher ist, dass man auf dem richtigen Weg unterwegs ist.
Kennst du das auch, dass du alte Freunde wiedertriffst und sie dir sagen: „Früher warst du schüchterner/ruhiger/wilder/…“ oder „Du hast dich aber verändert!“? Dann weißt du, dass du einen großen Schritt in deiner persönlichen Entwicklung gemacht hast. Vielleicht kannst du dich dann, wenn du darauf aufmerksam gemacht wirst, wieder an dein altes Ich erinnern. Vielleicht bist du auch überrascht, weil du es selbst gar nicht gemerkt hast, wie sehr du dich verändert hast.
Ich habe neulich ein viele Jahre altes Foto von mir gesehen und dachte, oha, da gucke ich aber verschlossen und schüchtern. So fühle ich mich heute (meistens) nicht mehr. Manchmal kann ich mir gar nicht mehr vorstellen, wie ich früher gedacht und gefühlt habe. Der alte Weg ist schon zu weit weg.
Das neue Ich
Vielleicht denkst du, dass es doch schade ist, wenn man sich nicht mehr an seine alten Gedanken und Gefühle erinnern kann. Ja, manchmal ist es so. Aber es hat auch einen großen Vorteil: Es gibt dir Sicherheit.
Jeder von uns hat es schon einmal erlebt, dass er seine Gewohnheiten verändern wollte, und nach einer gewissen Zeit des Ausprobierens doch wieder in seine alten Muster zurückgefallen ist. Der alte Weg war einfach noch zu nah und zu verführerisch einfach.
Alte Gewohnheiten, Verhaltensmuster und Überzeugungen können ganz schön hartnäckig sein und lassen sich nicht so einfach beiseiteschieben. Sie bestehen regelrecht auf ihre Existenz und versuchen, dich immer wieder auf den alten Weg zurück zu locken. Doch je weiter du deinen neuen Weg gehst, desto mehr entfernst du dich von ihrem Einfluss. Sie werden so schwach, dass du dich bald nicht mehr an sie erinnern kannst. Dann haben sie den Einfluss auf dich endgültig verloren, und deine neuen Gewohnheiten haben sich dauerhaft verfestigt.
Hatte Laotse recht?
„Reisen ist besonders schön, wenn man nicht weiß, wohin es geht. Aber am allerschönsten ist es, wenn man nicht mehr weiß, woher man kommt.“
Hatte Laotse also doch recht? Ich denke ja. Wenn etwas Neues ein Teil von mir wird und ich mir nicht mehr vorstellen kann, wie ich früher, ohne dieses Neue, klargekommen bin, dann weiß ich, dass ich auf dem richtigen Weg bin.
Diese Reise zu machen, den Lebens-Weg zu gehen, ist viel schöner als ein Ziel zu erreichen. Denn auf dem neuen Weg lerne, fühle, erfahre, lebe ich. Ein Ziel ist dabei nur ein Wegweiser, nicht mehr und nicht weniger. Der aber auch manchmal seine Richtung ändern kann.
Der Weg ist mein Ziel.
Warum Stille ein wichtiger Teil meines Weges ist, kannst du hier lesen.
Alles Liebe
Lena
Zum Weiterhören: „Die Reise“ von Max Giesinger 😉
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