Als introvertierte Persönlichkeiten macht unsere Ausstrahlung oft wenig Eindruck auf andere Menschen. Manche wirken schüchtern oder langweilig, andere ernst und unnahbar (hallo ich!), einige sogar arrogant. Und manchmal werden wir gar nicht richtig wahrgenommen. Unsere Aufmerksamkeit ist stärker nach innen gerichtet als nach außen, und das registrieren auch die Antennen der Menschen um uns herum.
Die meisten Intros offenbaren ihr liebenswertes und tiefgründiges Wesen erst auf den zweiten Blick – wenn es denn überhaupt soweit kommt.
Wir Introvertierten tun uns schwer damit, Herzlichkeit und Offenheit auszustrahlen, wenn wir überreizt sind, wenn wir uns nach Ruhe sehnen und wenn statt tiefgründigen Gesprächen unter vier Augen gerade Small Talk angesagt ist.
Dennoch gehören diese Momente der zwischenmenschlichen Kommunikation dazu. Sie sind wichtig, um gegenseitiges Vertrauen aufzubauen oder zu stärken, um neue Kontakte zu finden und unser Bedürfnis nach sozialen Verbindungen zu stillen. Auch wir Introvertierte brauchen das, aber wir wählen sorgfältig aus, wann und wo wir unsere Energie dafür einsetzen.
Wenn wir uns in Gesprächen mit Menschen, die uns nicht vertraut sind, unwohl fühlen und die Selbstzweifel an uns knabbern, weil wir mal wieder nicht so richtig wissen, worüber wir sprechen sollen, wenn wir merken, wie unsere Energievorräte immer schneller im Sumpf des „lockeren“ Plauderns versickern und wir uns innerlich immer mehr zurückziehen, dann war´s das mit unserer Ausstrahlung. Statt eine Verbindung zu einem Menschen zu vertiefen, spüren wir, wie unser Gegenüber sich innerlich ebenso von uns abwendet, wie wir es gerade tun.
Doch so weit müssen wir es gar nicht kommen lassen. Wenn wir hier ein wenig an unserer Körpersprache feilen, dort einen wichtigen Knopf im Mindset drücken und zu guter Letzt unsere Intro-Stärken in Topform sind, dann kann sich aus einem anstrengenden Small Talk ein anregendes Gespräch entwickeln, dass nicht nur uns, sondern auch unserem Gesprächspartner in bester Erinnerung bleibt.
Intro-Tipps für eine positive Ausstrahlung in Gesprächen
Tipp #1: Kleine Signale der Körpersprache, die Offenheit signalisieren
Ein kurzes Heben der Augenbrauen, nur wenige Millisekunden, nimmt das Unterbewusstsein deines Gesprächspartners als offen und freundlich wahr. Gemeint ist natürlich nicht ein skeptisches Stirnrunzeln, sondern ein kurzes Zucken, dass deine Augen öffnet.
Deine Gesichtszüge sollten insgesamt entspannt sein, mit einem offenen Blick und einer interessierten inneren Haltung. Löse Anspannungen in der Stirn, um den Mund und in den Augenwinkeln. Die Zunge darf entspannt im Mund liegen. Auch der ganze Körper, insbesondere Schultern, Bauch oder auch die Hände, darf sich entspannen. Versuche, die Handflächen und Fußsohlen zu entspannen, indem du dir vorstellst, die zur Faust geballten Hände zu öffnen. So können Anspannungen im Körper durch die Hände und Füße abfließen.
Tipp #2: Wer fragt, führt
Small Talk ist nichts anderes als ein gegenseitiges Beschnuppern, die Suche nach Gemeinsamkeiten und der allmähliche Aufbau von Vertrauen. Wie kannst du mehr über dein Gegenüber erfahren? Indem du ihm Fragen stellst. Der Situation, dem Grad der Vertrautheit und deinem Bauchgefühl folgende, angemessene Fragen selbstverständlich – du willst ja durch ein achtlos dahingefragtes „Was war deine schlimmste Kindheitserfahrung?“ niemanden verprellen. (Kleiner großer Vorteil am Rande: Wenn du Fragen stellst, musst du selbst weniger reden und darfst dich auf deine Stärke als gute Zuhörer:in verlassen.)
Oft lässt dein Gesprächspartner eine Bemerkung fallen, die deine Neugier oder zumindest leichtes Interesse weckt. Du musst nur aufmerksam hinhören, was er oder sie sagt. Vielleicht ist es statt einer Bemerkung auch ein Kleidungsstück, ein Schmuckstück, eine Tätowierung, das Getränk in seiner Hand oder irgendetwas anderes, dass sich als Einstieg in ein spannendes Gespräch jenseits langweiliger Oberflächlichkeiten eignet: Was ist das? Woher hast du es? Wie fühlt es sich an? Warum gefällt es dir? Ob ehrliches Interesse hinter einer Frage steht oder ob sie hilflos und erzwungen wirkt, wird dein Gegenüber sofort spüren. Darum solltest du deine Fragen mit Tipp #3 kombinieren.
Tipp #3: Was ist deine innere Motivation?
Wenn du merkst, dass das Gespräch beginnt, anstrengend zu werden, lenke deinen Fokus zu deiner inneren Motivation, die dich an diesen Ort und in dieses Gespräch geführt hat. Was hat dich dazu bewogen, hier zu sein statt zuhause auf dem Sofa zu liegen? Vielleicht fühlest du dich dazu verpflichtet – dann folge dieser inneren Verpflichtung weiterhin und gibt dein Bestes. Vielleicht hattest du die Hoffnung, etwas zu erreichen – dann bleibe aufmerksam, wie und wo sich diese Hoffnung erfüllen könnte. Vielleicht hast du große Lust und Energie verspürt, doch jetzt schwinden sie zusehends – dann akzeptiere auch das und schau, wie du dir einen Moment der Ruhe und des Rückzugs gönnen kannst, ohne dich ganz zu verabschieden.
Tipp #4: Gib dir selbst die Erlaubnis zu sprechen
Da wir Introvertierten nicht gerade forsche Charaktere sind, haben wir oft das Gefühl, wir müssten erst auf eine Aufforderung oder Erlaubnis warten, bis wir unsere Gedanken mitteilen dürfen. Wie Kinder in der Schule, die die Hand heben und erst sprechen dürfen, wenn der Lehrer sie dazu auffordert. Liebe Intros, da warten wir vergeblich drauf. Sicherlich gibt es Situationen, in denen wir direkt nach unserer Meinung gefragt werden. Aber in unverbindlichen Small Talks wird von uns erwartet, dass wir selbst das Wort ergreifen und uns mitteilen – wir müssen unseren Gesprächspartner ja die Chance geben, eine erste Vertrauensbasis zu entwickeln (siehe Tipp #2) und ihn so ermutigen, seinerseits mehr von sich zu erzählen.
Dein Gegenüber wartet darauf, dass er dich nun auch etwas besser kennenlernen darf. Wenn du genug Mut hast, eine andere Meinung zu äußern oder über deine Gefühle zu einem Thema zu sprechen, macht das den anderen neugierig darauf, mehr von dir zu erfahren. Gute Satzanfänge könnten zum Beispiel diese sein:
- Ich bin unsicher, ob…
- Ich bin aufgeregt, wenn…
- Ich habe Angst davor, dass…
- Ich denke nicht, dass…
- Es macht mich nervös, wenn…
Tipp #5: Nutze deine Stärke als gute:r Beobachter:in
Beobachte dich, die anderen und das ganze Umfeld. Was spricht dich an? Wie fühlst du dich? Was nimmst du bei den anderen wahr? Wie ist die Atmosphäre? Was fällt dir besonders auf?
Die Aufmerksamkeit, die du der Situation damit schenkst, ist deine Präsenz. Menschen, die präsent sind, haben eine intensivere Ausstrahlung als Menschen, die mit ihren Gedanken ganz woanders sind. Andere fühlen sich von deiner Ausstrahlung unbewusst angezogen oder nehmen sie zumindest positiv wahr. Deine Beobachtungen bieten sich außerdem als gute Gesprächseinstiege oder für einen Themenwechsel im Gespräch an. Beobachtungen, die dich und andere zum Lächeln bringen, geben dem Gespräch eine warme und vertrauensvolle Note.
Tipp #6: Finde Gemeinsamkeiten
Kennst du das Gefühl, wenn jemand zu dir sagt: „Ja, genauso geht es mir auch!“? Ich würde dieses Gefühl mit einer gewissen Vertrautheit zum anderen beschreiben, einer inneren Verbindung, die sich leicht ausbauen lässt. Manchmal ist es sogar eine Art familiäres Gefühl, das in kürzester Zeit große Vertrautheit weckt, als würde man sich schon lange kennen. Es ist immer ein wunderschönes Gefühl, weil es unser Grundbedürfnis nach menschlicher Nähe im Kern berührt.
Wenn man während des Gesprächs ein Thema, eine Erfahrung, ein Hobby usw. findet, dass beide Gesprächspartner bewegt, dann hat man eine gemeinsame Ebene gefunden. Es ist so eine unausgesprochene „Wir spielen im selben Team“-Verbindung. Man weiß genau, dass man ähnliche Erfahrungen gemacht hat, ähnliche Gefühle und vielleicht auch ähnliche Enttäuschungen erlebt hat. Und genau über diese Erfahrungen, Gefühle und Enttäuschungen kann man sich nun wunderbar austauschen: ein tiefgreifendes Gespräch kann sich entwickeln, dass uns Introvertierten nun nicht mehr Energie raubt, sondern die Energie der Verbundenheit schenkt. Manchmal reicht es schon aus festzustellen, dass man im selben Alter und in derselben Lebensphase ist, um zu wissen, was den anderen gerade besonders bewegt – das kann die Zeit des Berufseinstiegs, der Familiengründung, die Wechseljahre, der Rentenbeginn und ähnliches sein.
Introvertiert zu sein ist keine Ausrede, um sich als langweiliger Gesprächspartner zu fühlen. Das sind wir nur, wenn wir es selbst glauben. In unseren introvertierten Stärken und Potenzialen liegt die Basis für eine sympathische, interessierte und offene Ausstrahlung. Probiere es aus!
Alles Liebe
Lena
PS: In meinem Buch „Leidenschaftlich introvertiert“ habe ich den Potenzialen von Introvertierten, sich zu meisterhaft guten Gesprächspartnern zu entwickeln, ein ganzes Kapitel gewidmet. Hier geht´s zum Buch.
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