In diesem Artikel stelle ich dir ein gut erforschtes und international anerkanntes Standardmodell der Persönlichkeitsforschung vor: Das Big-Five-Modell.
Das Modell beschreibt fünf Kerndimensionen der Persönlichkeit. Dabei ist jede Dimension nicht als Entweder-Oder zu verstehen, sondern als Skala, auf der sich jeder individuell einordnen kann. Das heißt, jeder Mensch kann in den fünf Kerndimensionen einschätzen oder in Tests ermitteln, ob die jeweilige Dimension schwach, mittel oder stark bei ihm/ihr ausgeprägt ist. Obwohl unsere menschliche Individualität kaum in nur fünf Aspekten beschrieben werden kann, so bietet das Modell mit den Skalen doch eine recht gute Möglichkeit, die Grundstruktur einer Persönlichkeit zu beschreiben, als auch Denk- und Handlungsmuster daraus abzuleiten.
Neugierig geworden? Also los, hier sind die fünf Persönlichkeitsdimensionen nach dem Big-Five-Modell:
1. Offenheit für Erfahrungen
Schwach ausgeprägt: konservativ, vorsichtig
Stark ausgeprägt: neugierig, unabhängig, künstlerisch
2. Gewissenhaftigkeit
Schwach ausgeprägt: unbekümmert, nachlässig, spontan
Stark ausgeprägt: effektiv, organisiert, zuverlässig
3. Extraversion
Schwach ausgeprägt: zurückhaltend, gerne allein, introvertiert
Stark ausgeprägt: gesellig, personenorientiert, herzlich
(In diesem Artikel habe ich übrigens genau diesen Aspekt kritisiert, denn Introversion ist in diesem Modell nur ein Mangel an Extraversion, und da gehen mir die starken Seiten von Introversion zu sehr unter!)
4. Verträglichkeit (Sympathie)
Schwach ausgeprägt: wettbewerbsorientiert, egozentrisch, misstrauisch
Stark ausgeprägt: kooperativ, mitfühlend, freundlich
5. Neurotizismus (emotionale Labilität, Verletzlichkeit)
Schwach ausgeprägt: selbstsicher, ruhig, zufrieden
Stark ausgeprägt: ängstlich, nervös, gestresst
Überlegst du schon, wo du dich in den fünf Dimensionen einordnen würdest? Meist können wir recht schnell sagen, welche Bereiche bei uns schwächer und welche stärker ausgeprägt sind. Oft finden wir uns aber auch irgendwo im Mittelfeld wieder. Über die Lebenszeit hinweg verändert sich die Persönlichkeit immer wieder: Mit etwa 30 hat sich haben sich die Kernbereiche unserer Persönlichkeit stabilisiert, aber auch danach finden noch Veränderungen statt. So steigen etwa die Werte für Verträglichkeit und Gewissenhaftigkeit im höheren Alter tendenziell, während Extraversion und Offenheit eher abnehmen.
Jede Dimension hat auf beiden Seiten ihre Vor- und Nachteile, positive und negative Aspekte. Eine Ausnahme bildet der Neurotizismus: Wir sind zufriedener und ausgeglichener, wenn er nur schwach ausgeprägt ist.
Im Folgenden stelle ich dir jede Dimension ausführlicher vor. Und du bekommst für jede Dimension Tipps und Vorschläge, wie du sie für dich positiv entwickeln und stärken kannst.
Offenheit
Als erstes schauen wir uns an, was Menschen mit einer ausgeprägten Offenheit für Erfahrungen ausmacht. Menschen mit einem hohen Wert an Offenheit sind neugierig, wissbegierig und heißen neue Erfahrungen willkommen. Sie lernen gerne neue Menschen kennen, reisen in unbekannte Länder oder eignen sich neues Wissen in Kursen und Seminaren an. Sie scheuen auch nicht so leicht vor größeren Herausforderungen zurück. Bestehende Normen oder Meinungen hinterfragen sie gerne und sind bereit, sich auf fremde Meinungen einzulassen. Offene Menschen lieben die Abwechslung, haben oft eine reiche Fantasie und arbeiten gerne kreativ. Sie sind an Kunst, Musik und Literatur interessiert. Zudem haben sie ein gutes Gespür für Emotionen – die eigenen und die von anderen.
Wenn die Offenheit für Erfahrungen weniger stark ausgeprägt ist, sind diese Menschen eher konservativ, skeptisch und vorsichtig. Sie halten an Bewährtem fest und lieben ihre Routinen.
Wenn du deine eigene Offenheit für Erfahrungen und damit deine Persönlichkeit weiterentwickeln möchtest, kommen hier meine Vorschläge für dich:
- Lies einen Artikel über ein fremdes Land oder über neue wissenschaftliche Entdeckungen und Technologien
- Schau einen Film an, den du dir normalerweise nicht anschauen würdest
- Abonniere einen neuen Podcast und höre dir zwei Folgen an
- Besuche ein Spezialitäten-Restaurant und probiere ein Gericht, dass du noch nie gegessen hast
- Besuche eine Ausstellung, ein Museum oder eine Kunstgalerie
- Verfolge eine politische Diskussion mit gegensätzlichen Meinungen zu einem Thema und denke über deine eigene Meinung zu dem Thema nach
- Nimm dir fünf Minuten Zeit, um über deine acht wichtigsten Werte im Leben nachzudenken
- Nimm dir fünf Minuten Zeit und stelle dir vor, wohin du gehen würdest und was du tun würdest, wenn du eine Zeitreise machen könntest
Du kannst natürlich noch viele weitere, eigene Ideen entwickeln. Gehe das Ganze wie ein Forscher an und experimentiere ein wenig! Beobachte dabei, welche automatischen Gedanken und Reaktionen in dir entstehen, wenn du probierst, dich auf etwas Neues einzulassen. Vielleicht willst du mal andere Gedanken und Reaktionen testen?
Gewissenhaftigkeit
Die Gewissenhaftigkeit beschreibt, inwiefern eine Person zielstrebig, ordentlich und genau ist. Menschen mit einer hohen Ausprägung der Gewissenhaftigkeit sind diszipliniert, besonnen, sorgfältig, zuverlässig und verfügen über ein hohes Maß an Selbstkontrolle. Sie arbeiten fokussiert auf ihre Ziele hin und sind dabei organisiert und präzise. Ablenkungen können sie dabei recht gut widerstehen. Daher sind sie tendenziell beruflich erfolgreicher und effektiv in ihrer Arbeit.
Wenn diese Dimension geringer ausgeprägt ist, so sieht die Person die Dinge etwas lockerer. Das Erreichen seiner Ziele, Sauberkeit und Ordnung sind ihr weniger wichtig. Diese Personen lassen sich bei der Arbeit leichter ablenken, sind unbekümmerter und spontaner.
Wie du schon erfahren hast, sind die Big-Five-Dimensionen als Skalen zu verstehen. Du bist nicht entweder gewissenhaft oder nicht gewissenhaft, sondern dieses Persönlichkeitsmerkmal (wie die anderen auch) ist mehr oder weniger stark bei dir ausgeprägt.
Bestimmt kannst du recht schnell sagen, ob du selbst ein sehr gewissenhafter Mensch bist oder eher nicht. Möchtest du deine Gewissenhaftigkeit weiterentwickeln und diesen Aspekt deiner Persönlichkeit stärken? Hier kommen meine Tipps und Experimentiervorschläge:
- Schaffe dir konsequent Handy-freie Zeiten, in denen du dich auf eine Sache konzentrieren willst (bei der Arbeit, aber auch in Gesprächen oder beim Podcast-Hören usw.)
- Bereite dich früher als gewöhnlich auf einen Termin vor
- Schreibe mindestens fünf Minuten darüber, welche Vorteile (z. B. für die Zukunft, für deine Karriere, für dich persönlich) es hat, gründlich, fleißig und produktiv zu sein
- Schreibe eine Liste von Personen, die auf dich zählen (z. B. Kollegen, mit denen du zusammenarbeitest, Nachbarn, deren Blumen du im Urlaub gießt, Freunde, denen deine Meinung wichtig ist usw.)
- Lege deine Kleidung am Vorabend bereit
- Schreibe To-do-Listen oder mache Kalendereinträge, um deine Aufgaben strukturiert anzugehen, zum Beispiel für kleine Erledigungen, Rechnungen bezahlen usw.
Probiere meine Vorschläge spielerisch aus und gehe das Ganze nicht zu verbissen an (dann bräuchtest du die Übung gar nicht, denn du wärst ja schon sehr gewissenhaft). Beobachte dabei, wie du dich bei der Umsetzung fühlst, was dir leicht fällt und was dir schwer fällt, und was der Grund dafür sein mag. So lernst du dich und deine Stärken immer genauer und tiefer kennen.
Extraversion
Wir sind nun schon bei der dritten Kerndimension unserer Persönlichkeit angekommen – und treffen dabei auf ein Charaktermerkmal, dessen Gegenpol wir bereits gut kennen (und über das du im Team Introvertiert-Blog über 50 Artikel zu spannenden Themen rund um dieses Charaktermerkmal lesen kannst): Extraversion und Introversion.
Extravertierte Menschen fühlen sich in sozialen Situationen wohl, sind gesprächig und aktiv. Wörtlich übersetzt besitzen sie eine „nach außen gewandte Haltung“. Den Gegenpol bilden introvertierte Menschen, die also eine eher niedrige Extraversions-Ausprägung haben. Intros sind stiller und zurückhaltender, was aber nicht mit Schüchternheit verwechselt werden darf. Ihr Bedürfnis nach Austausch mit anderen ist nur geringer. So empfinden Introvertierte das Zusammensein mit vielen Personen auf die Dauer als anstrengend und genießen es, auch mal Zeit für sich alleine zu haben. Das heißt aber nicht, dass kein Interesse am sozialen Umfeld besteht – auch sie haben gerne Kontakte, aber nicht in dem Ausmaß wie Extravertierte.
Im Big-Five-Modell wird Introversion als schwach ausgeprägte Extraversion beschrieben. Das gefällt mir persönlich so gar nicht. Denn so wird Introversion als ein Mangel an Extraversion definiert, was den damit verbundenen großartigen Eigenschaften, Stärken und Besonderheiten in keiner Weise gerecht wird! (Mehr dazu übrigens in diesem Artikel.)
Ich liebe meine ausgeprägte introvertierte Seite mit all ihren Sonnen- und auch Schattenseiten, setze mich für die gesellschaftliche Anerkennung von introvertierten Stärken ein, und schreibe Artikel und Bücher. Aber genauso liebe ich auch meine extravertierte Seite. Du erinnerst dich, jede Kerndimension ist als Skala anzusehen, und ist demnach entweder stärker oder schwächer ausgeprägt. Wir haben immer beide Pole in uns.
In vielen Situationen im Leben können wir unsere extravertierte Seite sehr gut gebrauchen, zum Beispiel beim beruflichen Netzwerken. Es ist daher gar nicht verkehrt, unsere extravertierte Seite immer mal wieder hervorzulocken und zu trainieren, um so selbstsicherer und flexibler durchs Leben zu gehen. Hier kommen meine Trainings-Tipps zur Stärkung der Kerndimension Extraversion:
- Denke abends an eine positive Begegnung, die du gehabt hast, und was dir daran gefallen hat.
- Rufe eine Freundin an, mit der du schon lange nicht mehr gesprochen hast
- Lächle Menschen auf der Straße an und grüße kurz
- Wechsle ein, zwei Sätze mit einer Verkäuferin in einem Geschäft oder an der Supermarktkasse (meinetwegen über das Wetter)
- Gehe zu einer Gruppenveranstaltung, zu der du sonst nicht gehen würdest, zum Beispiel eine geführte Wanderung, ein Workshop oder ähnliches. Setze dich nicht unter Druck, dich hier extravertiert geben zu müssen, sei einfach entspannt dabei und verstecke dich nicht
- Bereite vor Smalltalk-Situationen ein paar Antworten auf häufige Fragen vor (z.B. „Was machst du beruflich?“)
- Denke dir Fragen aus, die du in verschiedenen Smalltalk-Situationen deinem Gesprächspartner stellen könntest (z.B. „Was gefällt dir besonders an …“). Knüpfe dann an die Antwort an
- Mache jemandem (einem Kollegen, einer Bekannten, einem Fremden) ein ehrlich gemeintes Kompliment
Was denkst du: Würden dir diese Übungen schwerfallen, oder eher leicht? Daran kannst du ablesen, ob deine Extraversion eher stärker oder eher schwächer ausgeprägt ist. Aber wie immer gilt: Nur die Umsetzung und Übung wird etwas verändern können und deine extravertierte Seite stärken: Also los, trau dich!
Wenn wir eine Seite uns stärken wollen, heißt das nicht, dass der jeweilige Gegenpol dabei automatisch geschwächt wird. Wir haben keine Charakter-Waage in uns, bei der nur die eine Schale oder die andere oben sein kann. Wenn wir unsere unterschiedlichen Charaktermerkmale weiterentwickeln können, dann stärken wir meist auch gleichzeitig alle anderen, denn alles, was in uns ist, ist miteinander verwoben und wirkt aufeinander ein. Das Selbst-Bewusstsein, dass wir uns bei einem Aspekt der Persönlichkeitsentwicklung erarbeiten, steht uns auch für alle anderen Aspekte zur Verfügung. Eine gestärkte extravertierte Seite kann so bewirken, dass wir auch unsere introvertierte Seite (selbst-)bewusster ausleben.
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Verträglichkeit
Dieser etwas hölzerne Begriff beschreibt eine sehr wichtige und schöne Seite in uns, denn er steht für unser Mitgefühl und unsere Empathie, unsere Kooperationsbereitschaft und Freundlichkeit anderen Menschen gegenüber. Ebenso wie Extraversion und Introversion beschreibt diese Dimension in erster Linie unser interpersonelles Verhalten.
Menschen mit einer stark ausgeprägten Verträglichkeit begegnen anderen mit viel Verständnis, Wohlwollen und Mitgefühl. Sie sind sehr hilfsbereit und erwarten auch Hilfsbereitschaft von anderen. Sie vertrauen anderen schnell, sind kooperativ und häufig auch nachgiebig.
Wenn die Verträglichkeits-Dimension dagegen schwach ausgeprägt ist, sind wir eher wettbewerbsorientierter, egozentrischer und misstrauischer. Unser Menschenbild ist insgesamt weniger positiv.
Eine hohe Verträglichkeit scheint demnach die sozial erwünschtere Ausprägung zu sein. Wer will nicht gerne als hilfsbereit, empathisch und freundlich wahrgenommen werden? Wir sollten uns jedoch nicht auf dieser naheliegenden, aber einseitigen Beurteilung ausruhen. Ich finde es wichtig, immer mehrere Perspektiven einzunehmen, bevor ich mir eine Meinung bilde.
So kann uns zum Beispiel ein gesundes Misstrauen vor Fallen schützen, und zu viel Vertrauen schnell in eine Naivität rutschen. Verständnis und Mitgefühl sind positive Eigenschaften, dürfen aber nicht dazu führen, dass wir unsere eigenen Grenzen vergessen und Selbstfürsorge immer hintenan stellen. Menschen mit einer hohen Verträglichkeit sind zudem sehr harmoniebedürftig, wenig konfliktfähig und setzen ihre eigenen Interessen oft zu selten durch. Eine gesunde Balance zu finden, ist in dieser Kerndimension daher besonders wertvoll.
Wie schätzt du deine Verträglichkeit als introvertierte Persönlichkeit ein? Diese Frage finde ich spannend, denn ich kann nur schwer einschätzen, ob Intros eher zu einer starken oder einer schwachen Verträglichkeit neigen. Vielleicht gibt es auch gar keinen direkten Zusammenhang. Ich kann dir jedenfalls berichten, wie es bei mir ist: Einerseits begegne ich anderen Menschen mit viel Wohlwollen und Verständnis. Harmonie ist mir wichtig, und manchmal bin ich wohl auch zu nachgiebig. Andererseits lasse ich mir Zeit, bis ich jemandem wirklich vertraue, und erwarte nur selten Hilfsbereitschaft.
Wie ist das bei dir?
Wenn du das Gefühl hast, dass du diesen Aspekt deiner Persönlichkeit noch weiter trainieren und ausbauen willst, dann kommen hier wieder meine Tipps für dich:
- Praktiziere die Höflichkeits-Etikette der „alten Schule“: Anderen die Tür aufhalten, auf der Straße grüßen usw.
- Danke und Bitte sagen sollte eigentlich selbstverständlich sein, aber sage diese Worte doch noch bewusster und vor allem: von Herzen
- Führe eine Liste über Menschen, Dinge und Erfahrungen, für die du dankbar bist (am besten täglich)
- Tue anderen kleine Gefälligkeiten, ohne darum gebeten worden zu sein
- Freue dich ehrlich über Komplimente und bedanke dich dafür
- Mache jemandem aus deinem Umfeld ein Kompliment
- Denke ein paar Minuten über die positiven Eigenschaften deiner Liebsten nach
- Schreibe fünf Gründe auf, warum Menschen im Allgemeinen gut sind
Die Dimension der Verträglichkeit zu üben, macht nicht nur viel Spaß, sondern beschenkt uns auch noch mit vielen guten Gefühlen. Probiere es aus und beobachte bewusst, wie andere Menschen darauf reagieren! Ich wette, du wirst diese Dimension bald lieben.
Neurotizismus
Big-Five-Finale! Nun geht es um die letzte – und wie ich finde, nicht auf den ersten Blick verständliche – Dimension der fünf Big-Five-Persönlichkeitsfaktoren.
Erst noch eine kurze Wiederholung: die Persönlichkeitsdimensionen des Big-Five-Modells sind gut erforscht und gelten als relativ stabile Faktoren, die eine Persönlichkeit beschreiben. Feine Justierungen in jeder Dimension in die eine oder andere Richtung sind mit fortschreitendem Alter, wachsender persönlicher Entwicklung (inklusive Umsetzung meiner Tipps zu jeder Big-Five-Dimension), Umgebungsfaktoren, gesundheitlichen Einflüssen usw. immer möglich. Aber eine gewisse Grundstabilität in der Ausprägung der einzelnen Dimensionen ist uns mit in die Wiege gelegt.
Das bedeutet vor allem, dass wir uns annehmen dürfen wie wir sind, und lernen können, unsere Persönlichkeit, kombiniert mit unseren individuellen Stärken und Vorlieben, bestmöglich in das Leben, das wir führen wollen, zu integrieren. Weiterentwicklung und Entfaltung des inneren Kerns unserer Persönlichkeit ist immer möglich. Was für ein spannender Entdeckungsweg zu uns selbst!
Nun aber zum Neurotizismus. Das ist ein Fachbegriff, mit dem viele erst einmal nichts anfangen können – im Gegensatz zu den anderen vier Faktoren Offenheit, Gewissenhaftigkeit, Extraversion und Verträglichkeit, von denen man leichter eine gewisse Vorstellung hat. Zudem musst du einmal um die Ecke denken: eine schwache Ausprägung dieser Dimension ist mit mehr innerer Stärke verbunden und andersherum.
Neurotizismus beschreibt, wie wir negative Emotionen erleben und wie wir mit diesen umgehen. Du kannst den Begriff daher auch mit emotionaler Labilität übersetzen. Das andere Ende der Skala wäre dann emotionale Stabilität. Aber auch diese Beschreibungen brauchen noch genauere Erläuterungen:
Menschen mit einer starken Ausprägung in der Dimension Neurotizismus erleben häufiger und intensiver Emotionen wie Angst, Nervosität, Anspannung, Trauer, Unsicherheit und Verlegenheit. Diese Emotionen werden bei ihnen schneller ausgelöst als bei Menschen mit einem gering ausgeprägten Neurotizismus. Sie reagieren daher zum Beispiel in Stresssituationen schneller angespannt, ängstlich oder gereizt und tendieren dazu, sich insgesamt mehr Sorgen zu machen.
Wenn der Neurotizismus schwächer ausgeprägt ist, sind diese Menschen ruhiger, gelassener und zufriedener, haben eine stabile Selbstsicherheit und gute Strategien, um Stress zu bewältigen. Negative Gefühle erleben sie seltener, was aber nicht heißt, dass sie automatisch mehr positive Gefühle haben. Die emotionale Stabilität senkt das Risiko, unter psychischen Störungen wie Depressionen oder Angsterkrankungen zu leiden.
Neurotizismus ist eine Dimension, deren starke Ausprägung uns krank machen kann. Ängste, Anspannung und Nervosität können neben den erwähnten psychischen Erkrankungen auch zu körperlichen Beschwerden wie Kopf- oder Bauchschmerzen, Verdauungsproblemen oder Hautproblemen führen. Darum lade ich dich ein, meine kleinen Anregungen für mehr emotionale Stabilität diesmal besonders aufmerksam zu lesen:
- Nimm dir einige Sekunden Pause zwischen einer Bemerkung, die negative Gefühle in dir weckt, und deiner Reaktion darauf. Atme tief ein und aus, mach dir deine geweckten Gefühle bewusst und entscheide dann, wie du darauf reagieren willst.
- Schreibe jeden Abend eine positive Sache, die du erlebt hast, auf, und wie du dich dabei gefühlt hast.
- Lächle jeden Tag mehrmals ganz bewusst. Egal wie du dich tatsächlich in dem Moment fühlst. Einfach Mundwinkel hoch für mindestens 60 Sekunden. Zum Beispiel beim Autofahren, bei der Hausarbeit, bei besonders nervigen To-Dos.
- Nimm dir für jeden Tag eine schöne Sache vor, die dir Spaß macht, und die mindestens 30 Minuten dauert.
- Fange an, täglich 5 Minuten zu meditieren. Beobachte dabei nur deinen Atem ohne ihn zu beeinflussen, und lass alle Gedanken, die kommen, entspannt wieder ziehen.
- Starte morgens mit einer klaren Absicht in den Tag. Zum Beispiel: Heute gehe ich alle Herausforderungen mit Gelassenheit an. Heute bin ich glücklich und zufrieden. Heute finde ich Lösungen, die ich gestern noch nicht gesehen habe. Usw. Finde deine eigenen Worte.
Auf die Umsetzung kommt es an!
Findest du das Big-Five-Modell auch so spannend wie ich? Willst du schon den ein oder anderen Tipp von mir ausprobieren? Wenn ja, beobachte, wie es dir damit ergeht. Wenn nein: Warum nicht?
Die letzte Frage ist am interessantesten. Denn sie verrät uns einiges über uns selbst. Zum Beispiel kann eine zu geringe Veränderungsmotivation der Grund dafür sein, dass du Tipps, die du von mir oder anderen liest, gar nicht ausprobierst. Was vollkommen okay ist, wenn du alles so lassen willst, wie es ist. Aber wenn du eigentlich doch gerne etwas in deiner Persönlichkeit verändern und weiterentwickeln würdest, dann könntest du dich an dieser Stelle fragen, was du noch brauchst, um genügend Motivation aufbringen zu können.
Im Coaching ist dies übrigens häufig eine Kernfrage. Je nach Person und Situation verfolge ich dann unterschiedliche Strategien: Entweder ich analysiere mit meiner Klientin, was hinter der fehlenden Motivation stecken könnte, und was sie braucht, um leichter in die Umsetzung zu kommen. Oder ich bin streng, lasse keine Ausreden mehr zu und fordere sie liebevoll auf, ihre Hausaufgaben zu machen, wenn sie es ernst meint mit dem Coaching. Manchmal braucht man jemanden, der einem genau den Schubs gibt, den man sich selbst nicht geben kann.
Damit ist meine kleine Reise durch unsere Persönlichkeitsdimensionen beendet. Vielleicht hat sie dir geholfen, dich ein klein wenig besser kennenzulernen. Wenn du nur einen einzigen meiner vielen Tipps hilfreich findest und für dich umsetzt, dann bist du schon einen Schritt weiter in deiner persönlichen Entwicklung – und ich bin happy, denn genau das wünsche ich dir.
Alles Liebe
Lena
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