Ich dachte immer, dass ich kein besonders kreativer Mensch sei. Kreativ zu sein, bedeutete für mich, bunte Knetfiguren mit den Kindern zu formen, fantasievolle Geschichten zu schreiben oder einzigartige Bilder zu malen. Einmalige Kunstwerke zu schaffen.
Nichts davon konnte ich auch nur ansatzweise gut. Das hat sich bis heute nicht geändert.
Für ausgeklügelte, aufwendige Kunstwerke bin ich zu sachlich. Wenn ich schreibe, dann über meine Erkenntnisse und Erfahrungen, also über Dinge, die mehr dem Leben als der Fantasie entspringen. Und wenn ich ein Bild male, dann wird es nie so, wie ich es mir zuvor im Kopf überlegt habe.
Ich stufte meine Kreativität also eher mittelmäßig bis unterdurchschnittlich ein.
Heute weiß ich, dass Kreativität viel mehr ist als Malen, Schreiben, Falttechniken oder Socken stricken. Und ich sehe meine eigene Schaffenskraft mit viel offeneren Augen.
Relativ neu ist die Erkenntnis, dass viele meiner introvertierten Eigenschaften und Stärken mich dabei unterstützen, kreativ zu denken und zu handeln. Aber der Reihe nach.
Was ist Kreativität?
Vielleicht sollte ich besser fragen: Wie ist Kreativität?
Sie ist unbeschreiblich, unregulierbar, unendlich.
Alle Versuche, sie zu beschreiben und zu definieren, grenzen sie schon wieder ein. Aber Kreativität ist grenzenlos. Wo sollte es auch einen Punkt geben, an dem sie aufhört? Die Möglichkeit, etwas zu schaffen, zu verändern, zu verbessern oder auch etwas wegzulassen, ist dir in jedem Moment deines Lebens gegeben.
Es gibt keine Regeln, denen die Kreativität unterliegt. Sie kann und darf in jede Richtung fließen. Sie ist immer in Bewegung, denn wo Stillstand ist, da kann nichts Kreatives geschaffen werden. Kreativ zu sein heißt auch, bekannte Wege zu verlassen, Neues zu entwickeln oder Altes zu verändern. Unerwartetes zu tun. Gegenteile hervorzubringen. Vielfältigkeit zuzulassen. Neue, ungewöhnliche und originelle Verbindungen und Zusammenhänge herzustellen. Perspektiven zu verändern. Zu scheitern und alles wieder zu verbrennen. Und dann aus der Asche etwas Wunderschönes zu gestalten. Anders zu denken, zu handeln und zu fühlen.
Anders zu sein – das ist für uns Introvertierte durchaus kein unbekanntes Gefühl!
Kreativität ist die Schaffenskraft in jedem von uns, die sich in jeder vorstellbaren Hinsicht entfaltet, ein schöpferischer Akt durch und durch. Und dabei ist sie zu 100 Prozent individuell und einzigartig. Authentizität pur. Jeder Mensch ist auf seine einzigartige Weise kreativ, denn Kreativität ist fest in unserem menschlichen Geist verankert. Sie kann ins Stocken geraten, verkümmern, aber niemals verloren gehen.
Es gibt keine Qualitätskriterien, denen sie unterliegt. Sie ist nicht ausschließlich das fertige Werk oder der Erfolg. Auch dein Einfallsreichtum ist nur ein Teil deiner Kreativität.
Kreativität ist so etwas wie ein Fluss, ein Strom an Ideen und Gedanken, der aus unserem tiefsten Inneren kommt, ohne dass wir ihn lenken oder sonst irgendwie beeinflussen könnten. Wenn er fließt, sind wir im „Flow“. Wir sind hochkonzentriert auf unsere Aufgabe, und so frei, wie der Geist sich in diesem Moment entfaltet, fließen auch die Glückshormone durch unseren Körper. Wie wir die Ideen und Gedanken Realität werden lassen, in Form von Werken oder Handlungen, ist nur noch die Übertragung des Stroms in die Außenwelt.
Kreativität könnte man also als eine Entfaltung unserer Seele beschreiben, als unser Selbst, dass sich ausleben darf, und als ein Fluss an geistigen Ergüssen, der nicht blockiert wird.
Das ist ihr wichtigstes Kriterium: Du musst sie zulassen, sie frei fließen lassen und alles loslassen, was ihren Fluss ins Stocken geraten lässt. Und du musst dich vom Ergebnis überraschen lassen, denn Kreativität lässt sich zu nichts zwingen.
Interessante Erkenntnisse rund um unsere Kreativität
- Zu der Frage, ob Kreativität und Intelligenz zusammenhängen, wurde viel geforscht. Dass eine hohe Intelligenz zu einer besonderen Kreativität führt, konnte jedoch nicht nachgewiesen werden. Man weiß, dass Kreativität und Intelligenz sind dennoch gegenseitig beeinflussen – aber sich auch nicht gegenseitig ausschließen.
- Mit individueller Kreativität beschäftigt sich die Wissenschaft erst seit gut einhundert Jahren. Am Ende des 19. Jahrhunderts begann die Psychologie, sich stärker mit dem Individuum zu beschäftigen und ihm Kreativität als individuelle Fähigkeit zuzuschreiben. Davor waren Ideen eher Entdeckungen und Kunstwerke waren Nachahmungen der Natur. Oder man schrieb die Schöpferkraft von einzelnen Menschen der göttlichen Eingebung zu – sie kamen also von Gott, nicht vom Menschen selbst.
- Im Laufe des menschlichen Lebens entwickelt sich der Geist weiter und damit auch seine kreative Schaffenskraft. Die kreativste Phase soll ein Mensch im Alter von über 50 Jahren erreichen. In diesem Alter kann er auf viel Wissen, Erfahrungen und trainierte Fähigkeiten zurückgreifen, die nun auf neue, kreative Weise miteinander verbunden oder in neue Bereiche übertragen werden können.
Der kreative Prozess
Kreativität ist nicht dauerhaft, zuverlässig oder von gleichbleibender Intensität. Sie fließt in Wellen, mit Hochs und Tiefs, die sich rhythmisch abwechseln. Phasen von hoher Kreativität wechseln sich ab mit Ruhephasen, und beide haben gleich wichtige Funktionen.
Manchmal schlägt die Kreativität richtig hohe Wellen, die von Euphorie, stundenlangem Versinken im „Flow“ und einer ungewöhnlichen Schaffenskraft geprägt sind. Doch ebenso tief können die Täler sein und uns entmutigen, uns hoffnungslos machen und uns glauben lassen, dass unsere Kreativität für immer verloren sei.
In Phasen hoher Kreativität werden wir von großartigen Gefühlen des Glücks, der inneren Freude und Zufriedenheit durchflutet. Eine ungebändigte Neugier an dem, was da noch alles aus uns herausströmen wird, lässt uns immer weiterarbeiten. Wir können es kaum erwarten, unser fertiges Werk zu sehen und lieben die Spannung, die dadurch in uns ausgelöst wird.
Man kann fünf Phasen ausmachen, die in jedem kreativen Prozess mehr oder weniger intensiv vorhanden sind. Jede einzelne dieser Phasen ist wichtig, um das positive Gefühl, etwas (er-)schaffen zu können, hervorzurufen.
Phase 1: Inspiration
Dies ist die Phase des kreativen Chaos. Ideen tauchen aus dem Unterbewusstsein in unser bewusstes Denken auf, und wir wissen noch nicht, ob sie etwas taugen, ob wir sie nutzen und weiterentwickeln wollen oder welche Aufgabe sie für uns haben.
Das Tolle an dieser Phase ist, dass sie nur in uns selbst abläuft. Sie ist die Basis unserer Kreativität, denn sie ist ganz intuitiv und individuell. Sie findet außerhalb der Vernunft statt und ohne unser Zutun. Inspiration passiert einfach, wenn wir sie zulassen und nicht blockieren.
Unsere Vernunft funkt uns in dieser Phase oft dazwischen. Sie will uns einreden, dass aus dem Chaos nie etwas werden kann, dass die Ideen unlogisch oder sinnlos sind. Oder sie redet uns ein, dass unsere Inspirationen uns verletzbar machen, angreifbar, und dass wir versagen könnten. Sie macht uns Angst. Wir müssen in dieser Phase mutig sein und uns selbst vertrauen.
Phase 1 ist eine Phase der Ruhe. Wenn unser Bewusstsein mit Alltagsaufgaben, Arbeit oder Ablenkungen ausgefüllt ist, ist kein Platz mehr für neue Ideen und Gedanken. Kreativität funktioniert nicht mal eben zwischen zwei Verpflichtungen. Sie braucht den Raum und die Zeit, um sich entfalten zu können. Und sie braucht Aufmerksamkeit, die wir den Inspirationen schenken, damit sie nicht wie Seifenblasen zerplatzen und sich in Nichts auflösen.
Phase 2: Konzentration
In Phase 2 bündeln wir unsere Aufmerksamkeit und konzentrieren uns auf die Inspirationen, die in uns an die Oberfläche gestiegen sind, damit sie uns nicht wieder entgleiten. Wir betrachten sie etwas genauer, drehen sie von links nach rechts, und warten ab, welche Erweiterungen aus unserem Unterbewusstsein dazukommen. Wir überlegen, wie wir sie weiterentwickeln wollen. Unser innerer Fokus widmet sich ganz den neuen Ideen und Gedanken.
Doch wir können die Konzentration nicht ständig aufrechterhalten. Sie kostet viel Energie, die irgendwann erschöpft ist. Das ist oft frustrierend, denn wir glauben, dass unser kreativer Schaffensprozess unterbrochen, vielleicht sogar abgebrochen ist. Manchmal ignorieren wir unsere Erschöpfung, weil wir unbedingt weitermachen wollen.
Aber nein, es bringt nichts, unsere Kreativität zu irgendetwas zwingen zu wollen. Wir müssen den Fluss so fließen lassen, wie er natürlicherweise fließt. Und dazu gehört, dass wir jetzt in ruhigere Gewässer kommen, wo der Fluss langsamer wird und neue Kräfte sammelt. Ruhepausen und Regeneration sind Teil des Prozesses.
Keine Sorge: Es ist nur die Denkarbeit, die eine Pause braucht. Im Unterbewusstsein wird weitergearbeitet. Hier bereiten sich neue Verknüpfungen und Gedankengänge auf ihren Einsatz vor. Unsere kreative Schaffenspause ist kein Zeitverlust, denn danach geht es umso produktiver weiter.
Wir verwechseln diese Ruhepausen unserer Kreativität oft mit einer Blockade und wollen sie nicht akzeptieren, sind frustriert und enttäuscht, dass es nicht vorangeht. Aber es ist nur ein Tief, und die nächste hohe Welle steht kurz bevor. Geben wir uns selbst die Zeit, die wir brauchen.
Phase 3: Organisation
Langsam fangen wir an, unser kreatives Chaos zu strukturieren. Die Phasen 2 und 3 gehen fließend ineinander über oder verlaufen auch parallel, denn wir nehmen etwas Abstand, um in Ruhe unsere Inspirationen zu sortieren und zu sehen, was alles hinter ihnen steht. Wir sind konzentriert bei der Sache, lassen weitere Gedanken und Ergänzungen zu und freuen uns, dass sie wie junge Pflänzchen nun in der ihnen innewohnenden Ordnung weiterwachsen. Wir fördern sie, bauen sie aus, und beginnen mit der Umsetzung – wir lassen die Gedanken Wirklichkeit werden: Als Malerei, Text, Gesang, Blumenbeet, Problemlösung oder was auch immer.
Diese Phase erscheint nicht weiter problematisch, aber sie kann ganz schön tückisch sein. Denn häufig bricht der kreative Prozess hier ab. Und hier haben wir Introvertierten unsere ganz eigene Herausforderung, uns nicht unterkriegen zu lassen.
Bei extravertierten Menschen kann es in Phase 3 passieren, dass sie von ihren ersten Entwürfen begeistert sind und loben sich selbst für ihren Einfallsreichtum. Sie meinen, dass sie ihre Kreativität damit genug gefordert hätten.
Bei uns Introvertierten ist genau das Gegenteil der Fall: Wir planen und denken im Kopf immer weiter, perfektionieren alles und wollen nicht so recht in die Umsetzung kommen. Unsere Idee ist nie gut genug, nie ausgereift genug. Außerdem sind da ja noch die zahlreichen Bedenken, die erst noch aus dem Weg geräumt werden müssten: Zeit und Geld fehlen, Talent sowieso, erst wenn dies oder dieses erreicht oder jenes erledigt ist, kann ich weitermachen, und so weiter.
Wir sind Meister im Erfinden von überzeugenden Ausreden und dem Abwerten unserer eigenen Fähigkeiten. Damit blockieren wir unseren Kreativitätsfluss. Negative Glaubenssätze sind ziemlich stabile Staudämme.
Wie kriegen wir in dieser Phase den Fluss wieder zum Fließen? Wir brauchen ein starkes Selbstvertrauen. Die Qualität unseres kreativen Schaffensprozesses ist subjektiv und spielt keine Rolle. Viel wichtiger ist, dass der Prozess überhaupt stattfindet. Wenn wir malen, sind wir Maler. Wenn wir schreiben, sind wir Autoren. Wenn wir etwas völlig Neues entwickeln, sind wir Erfinder. Wenn wir neue Lösungen für ein Problem finden, sind wir erfolgreich. Selbstvertrauen in unsere persönlichen Fähigkeiten haben und den Mut, sie mit Freude einzusetzen: Das bringt den Fluss zum Fließen. Lob und Komplimente dürfen, ja müssen wir in dieser Phase annehmen, denn durch sie bekommen unsere Staudämme Risse, bis sie irgendwann einstürzen und von der Strömung davongetragen werden.
Phase 4: Fertigstellung
In Phase 4 arbeiten wir intensiv an unserem kreativen Werk weiter, denn wir sehen schon seine Vollendung am Horizont erscheinen. Wir sind vertraut mit dem, was wir gerade erschaffen, haben Routine in der Umsetzung entwickelt und lassen uns nicht mehr blockieren oder verunsichern. Wir haben an Selbstvertrauen gewonnen, denn wir können einen großen Teil unseres Werkes schon vor uns sehen.
Nun fehlt nur noch der abschließende Feinschliff – der nicht unterschätzt werden darf! Wir müssen nicht nur die letzten Handgriffe tun oder unsere Gedankengänge vollenden. Wir müssen auch einen Schritt zurücktreten und kritisch auf das schauen, was bisher entstanden ist. Ist unsere ursprüngliche Inspiration noch zu sehen? Ist die Essenz dessen, was wir erschaffen wollen, erkennbar? Oder ist sie unter zu viel Ballast links und rechts untergegangen?
Meistens ist das der Fall. Im kreativen Schaffensprozess gesellen sich viele weitere Ideen und Gedanken hinzu, die auch mitspielen wollen, und die sich wunderbar anpassen können, damit wir sie ja nicht beiseite schieben. Darum ist die wichtigste Aufgabe in Phase 4: Ballast loswerden. Aussortieren. Wegschmeißen. Vernichten. Loslassen. Kaltblütig sein. Rigoros entfernen. Liebgewonnenes schmerzlich gehen lassen. Es muss so sein. Der Kern unseres kreativen Werkes soll sich nicht verstecken, sondern im Mittelpunkt stehen.
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Phase 5: Erhaltung
Diese Phase fordert vielleicht die meiste innere Stärke von uns. Unser Schaffensprozess ist beendet und präsentiert sich der Außenwelt.
Wie stehen wir zu unserem Werk, wenn andere ihm nicht die gleiche Begeisterung entgegenbringen wie wir? Wie verhalten wir uns, wenn es Kritik hagelt? Bleiben wir bei unserer Meinung, auch wenn sie von anderen ausgelacht wird? Ist ein neuer Lösungsweg für ein Problem doch nicht so vielversprechend, wie er uns zunächst erschien?
Und was ist mit dem, was andere so alles erschaffen? Glänzen diese Werke nicht viel heller als unser eigenes? Ist unser Werk überhaupt gut genug für diese Welt?
Das, was wir erschaffen haben – sei es etwas Künstlerisches, Handwerkliches, ein neuer Gedankengang, eine innovative Problemlösung oder was auch immer – ist ein Ausdruck unseres ureigenen Selbst. Es ist aus uns heraus entstanden und kann in dieser ganz individuellen Art und Weise von niemandem auf der Welt so geschaffen werden wie von uns. Wir dürfen stolz darauf sein. Auch wenn wir die einzigen sind.
Wahrscheinlich haben bislang nur die falschen Leute unser Werk zu Gesicht (oder zu Ohren) bekommen, die nicht das in unser Schaffenskraft sehen können, was wir darin sehen.
Aber gerade weil es ein Ausdruck unserer Persönlichkeit ist, tut Kritik an dem, was wir erschaffen, besonders weh. Wir nehmen es persönlich. Ein Teil von uns selbst steckt in unserem Werk. Wir müssen uns davon lösen, Applaus oder zumindest Anerkennung von anderen zu erwarten. An dieser Stelle sind ein stabiles Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl das Einzige, was uns Halt gibt und uns davor bewahrt, alles, was wir erschaffen haben, wieder zu zerstören – und damit auch die Inspiration, die aus unserem eigenen Inneren hervorgekommen ist.
Weiter geht es im zweiten Teil des Artikels „Deine Intro-Stärke: Kreativität“! Darin schauen wir uns die Blockaden und Ressourcen an, die auf unseren Kreativitätsfluss wirken sowie unsere typisch introvertierten Eigenschaften und Potenziale, die unsere Kreativität unterstützen. Außerdem haben ich ein paar Tipps für dich, wie du deiner Kreativität noch mehr fördern kannst.
Lies hier Teil 2 des Artikels „Deine Intro-Stärke: Kreativität“
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